Die PH Zug ist ein guter Ort, um mit offenem Visier, wachem Geist und ohne Scheuklappen über die Schule zu debattieren. Diese Debatte ist mir sehr wichtig. Der heutige Anlass wird dazu sicher Gelegenheit bieten. Mein erster Dank geht deshalb an alle Organisatorinnen und Organisatoren.

Sehr verehrte Damen und Herren aus Politik, Schule und Schulverwaltung: ganz herzlich willkommen! Mein zweiter Dank geht gerade an Sie. Nämlich für Ihr Interesse an Schulfragen, für Ihr Engagement und Ihr Kommen an diesem Samstag morgen.

John Hattie ist der Mann der Stunde. Seine Meta-Studie, «Visible Learning — Lernen sichtbar machen», ist der Grund dafür. Ich freue mich sehr darauf, heute mehr über diese Studie zu erfahren.

Lernen ist Beziehungshandeln. Das ist die Botschaft, die sich wie ein roter Faden durch Hatties Auftritte und Interviews zieht, wenn er also selber über seine Studie und seine Erkenntnisse spricht. Lernen ist Beziehungshandeln — das ist zunächst einmal nicht neu. Oder, um es mit den Worten von Jürgen Oelkers zu sagen: «John Hatties Buch „Visible Learning” hat für Aufregung gesorgt, obwohl eigentlich nur ein historisch bekannter Tatbestand erneuert worden ist», Zitatende. Oelkers Aussage hat mich — wieder einmal — an die wunderbar zeitlose Rede von Albert Einstein über die gute Schule erinnert. In dieser Rede, gehalten vor fast achtzig Jahren, verglich Albert Einstein die Wahrheiten und Erkenntnisse über die gute Schule mit einer Statue in der Wüste. Mit einer Statue in der Wüste, die immer wieder freigeschaufelt werden müsse, weil der wandernde Sand sie zu verschütten drohe. Einstein spricht davon, dass diese Wahrheiten und Erkenntnisse — weil die Schule eben keine exakte Wissenschaft sei — immer wieder aufs Neue erkämpft und belebt werden müssten.

Im Zentrum von Einsteins Überlegungen steht der Lehrer. Im Zentrum von Hatties Überlegungen steht ebenfalls der Lehrer. Oder um beim Bild Einsteins zu bleiben: Die Statue, das ist bei Hattie die gute Lehrperson. Die Frage, was denn eine gute Lehrperson sei und wie sie arbeite, diese Frage treibt John Hattie um.

Was macht eine gute Lehrperson aus? An was denken Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie an Ihre Lieblingslehrerin oder an Ihren Lieblingslehrer zurückdenken? Was sind in Ihren Augen die Merkmale oder Eigenschaften einer guten Lehrperson?

Ich stelle mir diese Frage selbst immer wieder. Zum Beispiel dann, wenn ich auf Schulbesuch bin und in einem Klassenzimmer eine ganz besonders gute Atmosphäre herrscht. Wenn ich spüre, dass die Chemie stimmt, dass der Strom fliesst. Sie kennen das Gefühl von Ihren eigenen Besuchen in den Schulzimmern. Man spürt es sofort. Dann frage ich mich, was diese Atmosphäre ausmacht und weshalb das so ist.

Wenn ich an gute Lehrerinnen und Lehrer denke, dann kommen mir vier Merkmale oder Verhaltensweisen in den Sinn, die mir wesentlich scheinen. Erstens, das Vertrauen: Eine gute Lehrperson vertraut den Schülern und lässt die Schüler dieses Vertrauen spüren. Vertrauen ist besser als Durchschauen. Zweitens, die Ziele: Die gute Lehrperson setzt hohe und sehr hohe Ziele. Sie sieht etwas in ihren Schülern, das diese selbst noch nicht sehen. Sie sorgt dafür, dass jede Schülerin und jeder Schüler über sich hinaus wachsen kann. Drittens, die Spannung: Die gute Lehrperson weiss, dass der Strom zwischen ihr und den Schülern Spannung braucht, damit er fliessen kann. Deshalb lässt die gute Lehrperson Spannung zu und hält sie aus. Und viertens, die Beziehung: Die gute Lehrperson sucht Zugänge, pflegt die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern auf viele Arten. Sie hat die Kinder gern, auch die mühsamen, sie lacht mit ihnen und lacht am lautesten über sich selbst.

Vertrauen haben, Ziele setzen, Spannungen aushalten und Beziehungen pflegen. Das kommt mir in den Sinn, wenn ich an eine gute Lehrerin, an einen guten Lehrer denke. Was kommt Ihnen in den Sinn?

Und das führt natürlich sofort zu den nächsten Fragen, die mindestens so spannend sind. Was machen wir, um solche Lehrerinnen und Lehrer auszubilden? Was machen wir, um solche Lehrerinnen und Lehrer für unsere Schulen zu gewinnen? Was machen wir, damit sich solche Lehrerinnen und Lehrer bei uns entfalten können? Oder was machen wir, Hand aufs Herz, um Lehrerinnen und Lehrer loszuwerden, die für den Beruf nicht geeignet sind? Und was machen wir, um zusammen mit den Lehrerinnen und Lehrern immer wieder und aus verschiedenen Blickwinkeln über die gute Lehrperson zu diskutieren?

Geschätzte Damen und Herren, einerseits sind das Ausbildungsfragen und Führungsfragen. Andererseits sind das aber auch philosophische Fragen, auf die wir uns einlassen müssen. Wir müssen und dürfen auch Fragen diskutieren, welche über das Handwerk hinaus das Menschsein betreffen.

Fragen, welche um die Qualität der Lehrpersonen kreisen, sind gemäss John Hattie ungleich wichtiger als zum Beispiel Fragen zu den Schulformen, zum Lehrplan oder zu den Strukturen ganz allgemein. In den Worten von John Hattie sind letztere zu oft nur Ablenkungen, welche den Blick auf das Wesentliche verstellen würden. Und damit bin ich wieder in der Wüste, bei der Statue und bei den Wanderdünen. Vertrauen haben, Ziele setzen, Spannung aushalten und Beziehungen pflegen — das ist nichts Neues unter der Sonne. Aber mit der einmaligen Erkenntnis ist es offensichtlich nicht getan. Ständig drohen Wanderdünen, die Statue zu überdecken.

Es braucht viele helfende Hände, damit diese Wahrheiten und Erkenntnisse immer wieder in der Sonne glänzen können. Es braucht unsere Hände. Es braucht die Hände von uns allen. Für dieses Engagement danke ich Ihnen allen ganz herzlich.

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