Ich heisse Sie alle willkommen am diesjährigen Forum «Gute Schulen». Herzlichen Dank, dass Sie sich an diesem wunderschönen Samstag Morgen die Zeit nehmen, um sich mit einem wichtigen Aspekt des Zuger Schulwesens – nämlich dem «Fremdsprachenlernen in der Schule» – auseinanderzusetzen.

Seit Januar habe ich Schulbesuche in Steinhausen, Hünenberg, Walchwil und Zug sowie am kgm in Menzingen gemacht. Mir ist aufgefallen, dass viele Lehrpersonen ihren Unterricht mit einer spannenden Frage anfangen, die dann im Verlauf der Lektion beantwortet wird. (Das ist auch ganz im Sinne der Lernforschung.) Ich habe darum eine passende Frage für heute ausgedacht. Meine Frage lautet: “Ist die neu entbrannte Fremdsprachendebatte nachhaltig oder ist sie nur ein politisches Manöver?” Dass die Fremdsprachenfrage umstritten ist – und zwar längst nicht nur bei der SVP – ist eine Tatsache. Aber wie nachhaltig ist die Debatte wirklich? Darauf werde ich eingehen.

Bevor ich das tue, möchte ich hier noch eine Klammer zum Thema bildungspolitische Debatte und Kommunikation öffnen. In diesem Bereich kam die Zuger Bildungspolitik in den vergangenen Wochen nicht zu kurz.

Die Veranstaltung heute ist auch der lebendige Beweis dafür, dass Schulpräsidenten, Rektoren und ich nicht nur über die Medien miteinander kommunizieren. Auch in den vergangenen Wochen haben wir uns immer auch abseits der Medien und direkt zu Fragen wie Klassengrösse oder auch Lehrertag, aber auch zu anderen Fragen unterhalten. Sei es am Telefon, anlässlich von Schulbesuchen oder auch anlässlich der Rektorenkonferenz. Gerade die Schulbesuche sind für meine Arbeit wichtig. Aus jedem Besuch – in Hünenberg, Steinhausen, Walchwil, Zug – nehme ich wichtige Inputs mit.

Über das übergeordnete Ziel – nämlich ein starkes Zuger Schulwesen mit Schülerinnen und Schülern, die am Ende ihrer Ausbildung für sich und die Gesellschaft Verantwortung übernehmen können – über dieses übergeordnete Ziel sind wir uns alle einig. Über den Weg ins Ziel jedoch nicht immer. Das schadet dem Zuger Schulwesen nicht. Im Gegenteil. Diese Debatte müssen wir führen. Wir müssen die Debatte führen, um das Profil des Zuger Schulwesens zu schärfen. Persönlich und direkt im Normalfall, und manchmal auch via Medien. Deswegen geht die Welt nicht unter.

Ich bin überzeugt, dass das beste Schulwesen – gerade weil das Schulwesen an sich keine exakte Wissenschaft ist – nur möglich wird, wenn wir offen und direkt darüber debattieren. Nehmen wir das Beispiel Klassengrösse… An dieser Frage kondensiert die ganze bildungspolitische Debatte der vergangenen zwanzig Jahre. Mit der Frage der Klassengrösse werden zwei entscheidende bildungspolitische Schrauben sichtbar. Die eine Schraube ist die Klassengrösse selbst. Die andere Schraube, das sind die Aufgaben der Schule, also: Was kann und soll die Schule?

Um die Lehrpersonen zu entlasten, kann man an beiden Schrauben drehen, an der Klassengrösse und an den Aufgaben der Schule. Die Frage über die optimale Abstimmung ist zentral – und wird uns auch Zukunft immer wieder beschäftigen. Vor allem, weil die verschiedenen Antworten auf diese Frage auch unterschiedliche Preisschilder haben. Es ist auch durchaus erlaubt, die Kostenfrage zu stellen.

Gemessen an den gesamten Staatausgaben gibt kein Land der Welt mehr Geld für die Bildung aus als die Schweiz. Kein Land der Welt. Nicht die Deutschen, nicht die Dänen, nicht die Schweden, nicht die Norweger, nicht die Finnen. 25 Rappen von jedem Franken sind es im Kanton Zug. Wir müssen uns die Frage stellen: Können wir immer mehr Geld ausgeben oder müssen wir auch einmal unsere Ansprüche an die Schule kritisch hinterfragen? Ich freue mich sehr auf diese Debatte. Sie muss und sie wird geführt werden. Mit Scharfsinn und mit offenem Visier.

Damit möchte ich diese Klammer schliessen. Ich komme zurück zu den Fremdsprachen und zur Frage “Ist die neu entbrannte Fremdsprachendebatte nachhaltig oder ist sie nur ein politisches Manöver?”

Zuerst eine Anmerkung zur Situation im Kanton Zug: Alle paar Monate muss ich als Bildungsdirektor irgend einer Zeitung die Zuger Haltung in der Fremdsprachenfrage erklären. Die Antwort darauf ist immer dieselbe. Der Kanton Zug hat 2006 über zwei Volksinitiativen auf Lehrerkreisen abgestimmt. Die eine davon hiess: “Eine Fremdsprache in der Primarschule ist genug!” Die Initiative wurde abgelehnt; das Zuger Volk hat somit vor nicht ganz sieben Jahren Ja zu zwei Fremdsprachen in der Primarschule gesagt. Deshalb stehen wir, obwohl Nicht-Harmos-Kanton, nicht im Fokus der Debatte, wir sind auch kein Abschaffungspionier.

Um den Kanton Zug herum und in der Ostschweiz ist allerdings Bewegung in die Fremdsprachenfrage gekommen. Diese Bewegung ist durchaus breit aufgestellt: Neben Politik und Lehrpersonen gibt es auch kritische Stimmen aus der Wissenschaft. Doch der Reihe nach, ich habe ein kleines Inventar gemacht.

Im Bereich der Politik haben wir Vorstösse in den Kantonen Thurgau (Motion), Nidwalden (Postulat) und vor wenigen Wochen im Kanton Obwalden eine Parlamentsdebatte um ein Postulat.

Oder schauen wir uns die Haltung der Lehrpersonen an. Der Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, LCH, schwenkte im Herbst 2012 um. Der Druck von der Basis wurde zu gross. Der LCH fordert: Nicht mehr alle Primarschüler sollen eine zweite Fremdsprache lernen. Die Basler Schulsynode machte eine Befragung. Es gab sehr kritische Rückmeldungen von vielen Schulleitern, Lehrpersonen und Eltern zum Frühfranzösisch-Unterricht. Die Mittelstufenkonferenzen aus sechs Kantonen (ZH, TG, SG, AI, GL, SZ) im Bereich der EDK-Ost fordern die Abschaffung des Primarfranzösischen.

Auch die Wissenschaft ist keineswegs geschlossen in dieser Frage. Als Beispiel diene die Luzerner Evaluation der Englischkenntnisse am Ende der Primarschule, die zum Fazit kommt, dass das Frühenglisch nciht hält, was es verspricht. Oder auch Elsbeth Stern, Professorin für Lernforschung an der ETH Zürich: Sie machte sehr kritische Anmerkungen zu den Fremdsprachen in der Primarschule.

Erhellend ist im Zusammenhang mit der Wissenschaft auch eine Bemerkung in einem Bericht des Koordinationsstabes für die Harmonisierung der obligatorischen Schule von der EDK. Da heisst es: Das, ich zitiere, «Schweizerische Kompetenzzentrum Mehrsprachigkeit wird in Zukunft zweifellos vermehrt geeignete Erkenntnisse zutage fördern, welche die weitere Einführung und Evaluation eines Sprachenunterrichts im qualitativen Sinne der EDK-Strategie befördern helfen.» Heisst das auf gut Deutsch: Unsere Studien werden dann schon die richtigen Ergebnisse für die Strategie liefern? Frei nach dem Motto: «Wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing…»?

Das macht mich schon etwas misstrauisch. Und es erinnert mich daran, dass die Annahmen und Aussagen von vielen Bildungsstudien stark durch den gesellschaftlichen Diskurs beeinflusst werden. Das ist ein Merkmal der nicht-exakten Wissenschaften, das man kennen muss.

Und in der EDK? Wie steht es da um die Fremdsprachendebatte? Auch in der EDK wird die Frage der Fremdsprachen brisant, vor allem in Nicht-Harmos-Kantonen, da diese nicht an das “Modell 3/5” gebunden sind. Der Kosta HarmoS ist bezüglich Gebundenheit zwar anderer Meinung. Aber die Meinung des Kosta war im Vorstand der EDK (Sitzung vom 24.1.13) nicht unbestritten, und sie wird auch in der Plenarversammlung vom 21.3.13 nicht unbestritten sein. Ich muss an dieser Stelle betonen, dass die Debatte auch auf Stufe EDK angekommen und längst noch nicht beendet wurde.

In diesem Sinne kann ich die eingangs gestellte Frage beantworten: Die Debatte über Sinn und Unsinn von Fremdsprachen in der Primarschule ist noch nicht abgeschlossen. Sie geht weiter. Die Kritik am Fremdsprachenunterricht kommt nicht nur aus einer Richtung, sondern der Chor der Kritiker ist vielstimmig: Politik, Lehrpersonen, aber auch Stimmen aus der Wissenschaft. Die vielstimmige Kritik ist kein politisches Störmanöver, sondern ein konstruktiver und berechtigter Beitrag zur Fremdsprachendebatte. Das ist die Antwort auf die eingangs gestellte Frage.

Und damit nochmals zurück zum Kanton Zug. Im Kanton Zug halten wir uns in der Diskussion zurück. Dies aufgrund des Volksentscheides von 2006. Dieser ist für die Behörden verbindlich. Der Anstoss für Veränderungen darf also nicht aus der Verwaltung kommen. Nur eines ist für mich klar: Wird das Frühfranzösisch dereinst kippen, dann werde ich mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die freiwerdenden Lektionen für Deutsch und Mathematik eingesetzt werden.

Ich komme zum Schluss.

Liebe Mitglieder der Schulkommissionen, ich habe eingangs meine Schulbesuche erwähnt. Ich sehe schon heute, dass diese Schulbesuche sehr wertvoll sind. Solche Schulbesuche können Sie und ich nicht genug machen. Nicht zum Dreinreden, sondern um zu beobachten und zu lernen – und um uns ein eigenes Bild zu machen. Nicht nur in Bezug auf die Fremdsprachen, sondern ganz allgemein. So steht es ja auch in unserem Schulgesetz, Paragraph, 61 Absatz 2: “Die Schulkommission informiert sich über den Schulbetrieb, die Schulkultur und den Entwicklungsstand der Schule.”

Wir – Sie und ich – wir müssen uns ein eigenes Bild machen. Das ist unsere Pflicht. Wo geht das besser als in der Schule? Als in den Schulzimmern und in den Lehrerzimmern? Wer sich selber immer wieder ein Bild macht, kann eine aktive Rolle übernehmen: In der Fremdsprachenfrage und in jeder anderen Bildungsfrage. Die Bildungswahrheit – was funktioniert und Was nicht? – findet sich in den Schulzimmern Ihrer Gemeinden.

Also gehen wir in die Schulzimmer. Da gehören wir hin!

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