(16.3.24, Grusswort am «Forum Gute Schulen»)

Die Integration ist eine echte Herausforderung für die Schulen – nicht nur für die Zuger Schulen. Sondern für alle Schulen, die sich ernsthaft für die Integration einsetzen. Sie ist nur dort kein Problem, wo man die Kinder zwar integriert, aber sie dann sich selbst überlässt. Das wird an vielen Orten gemacht – und dann wird gesagt, dass das entsprechende UNO-Abkommen eingehalten wird. Dabei werden die Kinder und Jugendlichen mit Behinderung einfach sich selbst überlassen und kaum gefördert. Das ist nicht die Integration, die wir wollen. Und darum ist die Integration eine Herausforderung für uns. Weil wir uns für die Integration einsetzen.

Im Kanton Zug haben wir alle Voraussetzungen für einen guten Umgang mit der Integration geschaffen. Zuletzt und gerade eben mit der Teilrevision des Schulgesetzes. Neu muss jede Gemeinde zwingend auch wieder separative Gefässe vorsehen, wo namentlich Kinder mit Problemverhalten schnell und unkompliziert zur Ruhe kommen können – eingebettet in das Gesamtkonzept der Schule.

«Problemverhalten ist ein Problem.» So hat das Peter Müller, der ehemalige Leiter des Schulpsychologischen Dienstes, in der Schulinfo auf den Punkt gebracht. Problemverhalten ist ein massives Problem. Für die betroffenen Lehrpersonen, aber auch für die Schülerinnen und Schüler, welche keine Probleme machen, welche von ihren Eltern Grenzen gesetzt bekommen und sich in der Schule rücksichtsvoll benehmen. Diese Schülerinnen und Schüler leiden darunter, dass ihre Lehrerin oder ihr Lehrer ständig mit Kindern und Jugendlichen beschäftigt sind, die sich nicht benehmen. Die Anständigen sind in unserem System noch viel zu oft die Dummen. Das stört mich. Das stört mich massiv.

Jetzt erhalten wir mit den separativen Gefässen ein Ventil. Die Schulgesetzrevision wurde Ende Januar im Kantonsrat ohne eine einzige Gegenstimme angenommen. In ein bis zwei Jahren muss jede Schule ein separatives Gefäss wie zum Beispiel eine Schulinsel haben. Kinder, die im Unterricht massiv und immer wieder stören, sollen dort schnell, unkompliziert und eingebettet in das Gesamtkonzept hingeschickt werden können. Einige Gemeinden kennen das schon lange. Die anderen Gemeinden müssen jetzt nachziehen. «Schnell» heisst: aus dem Unterricht, «unkompliziert»: ohne Bürokratie, und «eingebettet» in das Gesamtkonzept der Schule.

Ja, die Integration hat Grenzen. Bei der integrierten Sonderschulung hat der Kantonsrat diese Grenze sogar ins Gesetz geschrieben: integriert werden dürfen Sonderschülerinnen und Sonderschüler nur, solange die schulische Qualität in der Regelklasse erhalten bleibt. Auch dabei werden die neuen separativen Gefässe mithelfen. Die Schule muss Kindern mit Problemverhalten und ihren Eltern klipp und klar sagen: Bis hierher und nicht weiter. Die ADHS-Quote kann die Zunahme von Problemverhalten jedenfalls nicht erklären. Sie liegt seit 30 Jahren stabil bei rund 5 Prozent. Die Gründe müssen woanders liegen – bspw. in den Familien.

Und auch die Schule muss sich kritisch fragen, wo sie sich im Umgang mit Problemverhalten besser verhalten kann. Sich besser abgrenzen kann und welche Werte sie einfordern muss. Denn wo man sich über die Werte nicht einig ist, dort können auch keine Werte eingefordert werden. Der Bildungsrat war im Herbst in Rotkreuz auf Visitation. Und hat ein sehr gutes Beispiel gesehen, wie die Wertedebatte dreifach geführt wird: Die Werte in meiner Klasse, die Werte in unserem Schulhaus, die Werte auf unserem Campus. Die Werte sind das Fundament. Der Rest ist eine Frage der Instrumente und des Handwerks.

Der Kantonsrat und alle Parteien sowie der LVZ haben sich für die separativen Gefässe ausgesprochen. Damit auch ein Weg ist, wo ein Wille ist. Damit ein Weg ist, wo ein Wille ist und wo Werte sind. Damit sind wir auf dem richtigen Weg.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir werden uns heute intensiv mit der Integration und dem Zuger Weg der Integration befassen. Ich freue mich darauf. Wir müssen aber auch noch über einen zweiten Zuger Weg reden – aus aktuellem Anlass. Gestern hat die externe Vernehmlassung für die Totalrevision des Übertrittsreglements begonnen.

Der Weg ans Langzeitgymnasium soll künftig zusätzlich ein Testelement um¬fas¬sen. Nach der Sek bleibt der Übertritt aber auch in Zukunft prüfungsfrei. Und auch hier – wie bei den separativen Gefässen für Problemverhalten – liegt der Ausgangspunkt im Kantonsrat. Am Anfang stand das Unbehagen im Kantonsrat gegenüber der Entwicklung, dass immer weniger Zuger Jugendliche den Weg über die Sek in die Berufsbildung wählen und dass immer mehr Primarschüler direkt ans Langzeitgymnasium wechseln. Mit der Vernehmlassung sind jetzt auch die Einwohnergemeinden und die Schulkommissionen an der Reihe. Dem Bildungsrat und mir ist es wichtig, dass Sie unsere Überlegungen kennen. Wir haben uns sehr intensiv damit befasst.

Der Grundsatz ist klar: Starke Schülerinnen und Schüler auf allen Bildungswegen – das ist Bildungsvielfalt. Diese Bildungsvielfalt ist kein Selbstzweck, sondern führt dazu, dass die Schweizer Jugend Chancen hat wie keine andere Jugend auf der Welt. Und zwar handfeste Chancen, nicht nur in der Theorie. Starke Schülerinnen und Schüler in der Sekundarschule, starke Schülerinnen und Schüler am Gymnasium, starke Lernende in der Berufsbildung und an den Berufsmaturitätsschulen: Das Nebeneinander der Schweizer Bildungswege ist das Schweizer Erfolgsrezept. Dieses Nebeneinander führt dazu, dass die Einkommensmobilität in der Schweiz hoch ist. Sie ist höher als in den skandinavischen Ländern. Sie ist höher als in Deutschland und allen anderen Nachbarländern sowieso. Und sie ist höher als in den USA. Es ist unser Bildungssystem, das den Ausschlag gibt für die hohe soziale Mobilität in der Schweiz. Denn mit einer Berufslehre als Ausgangspunkt können auch Kinder mit Eltern im untersten Bereich der Einkommensverteilung ganz nach oben aufsteigen. Dazu gibt es eine Studie von Patrick Chuard und Veronica Schmiedgen-Grassi aus dem Jahr 2020. Mit dem bezeichnenden Titel: «Switzer-Land of Opportunity: Intergenerational Income Mobility in the Land of Vocational Training». Auf Altdeutsch: Die Schweiz, das Land der vielen Möglichkeiten. Einkommensmobilität im Land der Berufslehre.

Das ist echte Bildungsgerechtigkeit: Vielfältige Bildungswege, die echte Chancen schaffen. Bildungsgerechtigkeit heisst nicht, dass jede und jeder nach der Primarschule ans Langzeitgymnasium darf. Das Gymnasium ist für die zu diesem Zeitpunkt leistungsstärksten Kinder und Jugendlichen – und zwar in allen Begabungsbereichen. Bildungsgerechtigkeit heisst, dass jeder Bildungsweg echte Chancen schaffen muss. Echte Aufstiegschancen – ohne dass man einen Abschluss irgendeiner Eliteuniversität haben muss. Das Nebeneinander aller Bildungswege ist übrigens auch die beste Antwort auf den Fachkräftemangel, weil alle Bildungswege gegen den Fachkräftemangel helfen. Nicht nur der Weg über das Gymnasium – auch wenn immer wieder so getan wird.

Entscheidend für die Bildungsvielfalt ist die Sek. Weil an die Sek die meisten Bildungswege anschliessen: Berufsbildung, Kurzzeitgymnasium, Fachmittelschule, Wirtschaftsmittelschule und Berufsmaturitätsschulen.

Der Regierungsrat wurde vom Kantonsrat aufgefordert, nochmals eine Beurteilung aller Instrumente vorzunehmen, um die Bildungsvielfalt im Kanton Zug zu sichern. Wir haben diese Beurteilung gemacht und ab Frühjahr 2023 hat der Bildungsrat Schritt für Schritt eine Weiterentwicklung des bestehenden Übertrittsverfahrens erarbeitet – einen Zuger Weg ans Langzeitgymnasium. Einen Zuger Weg mit Vornote, Lehrpersonenurteil und neu einem Prüfungselement als Aussenblick.

Natürlich gibt es andere Steuerungsmassnahmen für das Langzeitgymnasium, aber sie müssen bei genauer Betrachtung verworfen werden. Namentlich sind dies die Abschaffung des Langzeitgymnasiums, die Anreizmethoden mittels Schaffung neuer Kapazitäten beim Kurzzeitgymnasium oder die intensivierte Kommunikation, ebenso die ausgeprägtere Selektion im Untergymnasium oder auch die «versteckte Übertrittsprüfung» mittels Leistungsmessungen in den 5. und 6. Klassen.

Ganzheitlichkeit gibt es nur mit Vornote, Lehrpersonenurteil UND Testelement. Der Bildungsrat ist überzeugt, mit dem ergänzten Zuger Weg eine mehrperspektivische Lösung vorzulegen. Mit dieser Lösung kann gesteuert werden und mit dieser Lösung wird die Ganzheitlichkeit des Zuger Übertrittsverfahrens bewahrt und gestärkt.

Kritikerinnen und Kritiker dieses neuen Zuger Wegs mit ergänzendem Prüfungselement fürs Langzeitgymnasium müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie generell gegen eine Steuerung sind und einfach möglichst viele Kinder und Jugendliche am Gymnasium haben wollen. Man kann diesen Weg gehen wollen… Viele Länder auf der Welt sind diesen Weg gegangen. Aber dieser Weg schafft keine Chancen. Dieser Weg zerstört Chancen. Wir sehen das in Deutschland, wo die Qualität der Sek regelrecht eingebrochen ist. Ist das fair? Der Bildungsrat will diesen Weg nicht gehen. Der Zuger Weg ist ein anderer. Durch eine stärkere Steuerung beim Langzeitgymnasium wird der Weg über die Sekundarschule gestärkt. Damit sich auch künftig leistungsstarke Schülerinnen und Schüler immer wieder für diesen Weg interessieren und für diesen Weg entscheiden. Der Bildungsrat lädt Sie ein, sich mit seinen Überlegungen und Motiven auseinanderzusetzen.

Alle Kinder, die sich für das Langzeitgymnasium interessieren, werden die Möglichkeit haben, sich im Rahmen von kostenlosen Vorbereitungshalbtagen auf das Testelement vorzubereiten. Die so genannte «Nachhilfeindustrie», die gibt es im Kanton Zug schon heute. Viele Eltern – und das ist auch ihr Recht – schicken ihre Kinder schon heute in die Nachhilfe. Gerade auch mit Blick auf den prüfungsfreien Übertritt. Mit den kostenlosen Vorbereitungshalbtagen geben wir hier sogar etwas Gegensteuer.

Starke Schülerinnen und Schüler in der Sekundarschule, starke Schülerinnen und Schüler am Gymnasium, starke Lernende in der Berufsbildung und an den Berufsmaturitätsschulen: Dazu will der Bildungsrat Sorge tragen. Dazu müssen wir alle miteinander ganz fest Sorge tragen.

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