Zwei Schweizer Regierungsräte haben sich dieser Frage gestellt. Bernhard Pulver BE hat das Pro begründet und Stephan Schleiss ZG das Kontra.

NEIN. Regierungrat Stephan Schleiss, Direktor für Bildung und Kultur des Kantons Zug

Gerecht ist, was Chancen schafft. Das verstehe ich unter Chancengerechtigkeit. In einem gerechten Bildungssystem sind die Schulen und Ausbildungen auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes ausgerichtet. Nur wenn dies gelingt, erhalten die Schulabgängerinnen und -abgänger eine faire Chance, am Ende aller Ausbildungen auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Das ist die Chance, die ein gerechtes Bildungssystem schaffen muss. Und an dieser Pflicht gemessen, spielt die Schweiz in der bildungspolitischen Champions League. Kaum ein anderes Land kann mit einer ähnlich tiefen Jugendarbeitslosigkeit wie die Schweiz aufwarten. Auch bei der Ausgestaltung unseres Bildungssystems nach dem Grundsatz “Kein Abschluss ohne Anschluss” vermag die Schweiz zu glänzen. Das ist echte Bildungsgerechtigkeit.

Dieser Aufenthalt in der Königsklasse ist uns schon heute sehr viel wert. Von jedem Franken, den mein Heimatkanton und seine Gemeinden ausgeben, fliessen rund 25 Rappen in die Bildung. Und schon ein kurzer Blick über den Tellerrand zeigt, dass es sich in den anderen Schweizer Kantonen ähnlich verhält. 32 Milliarden Franken investieren Bund und Kantone jedes Jahr in die Bildung – nur für die soziale Wohlfahrt sind es noch mehr.

Wer wirklich etwas für Bildungsgerechtigkeit tun will, der hilft mit, das Schweizer Bildungssystem immer wieder auf den Arbeitsmarkt auszurichten. Der hilft mit, das Schweizer Bildungssystem immer wieder gegen weniger erfolgreiche Bildungssysteme zu verteidigen. Dazu braucht es Heimatliebe, Kreativität und dann und wann etwas Chuzpe – aber nicht mehr Geld.

JA. Regierungrat Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor des Kantons Bern:

Gute Kindergärten, Volksschulen, Gymnasien, Berufsschulen und Hochschulen sind das Rückgrat des Erfolgs unseres Landes.

In der Schweiz hängt der Bildungserfolg der jungen Menschen stärker als in anderen Ländern vom Bildungshintergrund der Eltern ab. Diese Unterschiede führen schon vor dem Eintritt in den Kindergarten zu grossen Unterschieden in den Lernmöglichkeiten der Kinder. Das ist ein Zustand, der uns beunruhigen muss. Jedes Kind muss die Chance haben, unabhängig vom Familienhintergrund auch die vollen Bildungsmöglichkeiten nutzen zu können. Wir wollen und können es uns nicht leisten, die Potentiale der jungen Menschen brachliegen zu lassen.

Massnahmen der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung könnten die Startchancen der Kinder verbessern. Gerade sozial benachteiligte Kinder haben aber nur beschränkten Zugang zu solchen Einrichtungen. Hier gibt es noch viel zu tun. Auch die schulergänzende Betreuung – Stichwort Tagesschulen – sind ein wichtiges Element für die Chancengerechtigkeit. Ich freue mich, dass viele Kantone – unter anderem Bern – hier in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht haben.

Jugendliche mit Lehrabbruch oder junge Erwachsene ohne Berufsabschluss haben schlechte Berufschancen und riskieren, in die Armutsfalle zu geraten. Die betrifft oft gerade Jugendliche mit einem Migrationshintergrund oder aus soziokulturell schlechter gestellten Familien. Umgekehrt sind Schülerinnen und Schüler aus privilegierten Familien überproportional an Gymnasien vertreten.

Bildung muss allen Menschen ermöglichen, am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Doch ich bezweifle, dass wir das grosse Potential, das die sprachliche und kulturelle Vielfalt unserer Schülerinnen und Schüler bietet, ausreichend nutzen. Deshalb sind mehr Investitionen für die Chancengerechtigkeit in der Bildung auch in Zukunft nötig!

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