(30.6.22, Grusswort an der Diplomfeier der PH Zug)

Liebe Diplomandinnen und Diplomanden, es gibt viele Sprichwörter rund um die Schule. Eines, das Sie sicher kennen, geht so: «Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen.» Das Sprichwort soll aus Afrika stammen. Oder dann das Zitat aus dem alten Rom, von Seneca: «Die Menschen lernen, indem sie lehren.» Das finde ich stark: wer lernen will, muss lehren, muss Lehrerin und Lehrer sein. Das weiss ich noch aus meiner Zeit als junger Offizier: erst wenn ich es selber ausbilden konnte, hatte ich es wirklich begriffen.

Mir gefällt auch ein Spruch, den ich zum ersten Mal in den USA als Sticker auf einem Auto gesehen habe: «If you can read this – thank a teacher!» Ich habe mich in diesem Moment dann tatsächlich gerade dankbar an meine Schulzeit und meine Lehrerinnen und Lehrer erinnert.

Und deshalb möchte mit diesem Sticker und mit dem Dank beginnen: Wenn Sie, liebe Diplomandin, lieber Diplomand, heute hier sitzen, dann danken Sie Ihren Eltern dafür. Wenn Sie heute hier sitzen, dann danken Sie Ihren Lehrerinnen und Lehrern dafür. Wenn Sie heute hier sitzen, dann seien Sie auch sich selber dankbar. Sie haben sich ein Ziel gesetzt. Sie haben dieses Ziel erreicht – und heute feiern wir die Zielankunft.

Und wenn ich Sie alle heute hier sitzen sehe, dann danke ich der PH Zug dafür.

Ja, jeder von uns braucht ein Dorf, braucht ein Umfeld, damit wir werden, sein und immer wieder werden können. Der Mensch muss durch individuelle Leistungen glänzen und kann viele wichtige Unterschiede machen, aber erfolgreich ist der Mensch nur als soziales Wesen. Was heisst das für die Schule und für Sie als Lehrerinnen und Lehrer?

Jede Stunde, die Sie in Beziehungen investieren – in die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern, zum Team, zu den Eltern, aber auch in die Beziehung zum Dorf oder zum Quartier – jede dieser Stunden kommt doppelt zurück. Es ist tatsächlich so: es braucht ein Dorf, damit es eine gute Schule geben kann. Gute Schule ist Beziehungsarbeit. Das ist aufwendig und ich weiss, dass manchmal vor diesem Aufwand gewarnt wird: Abgrenzung, sich nicht vereinnahmen lassen, Work-Life-Balance, Abstand wahren… Aber es wird vor dem Falschen gewarnt. Die Fallstricke der Verausgabung und Überdehnung lauern nicht in der Beziehungsarbeit.

Abgrenzung ist wichtig, aber es muss eine inhaltliche Abgrenzung sein. Was meine ich damit?

Die Schule kann nicht der Reparaturplatz der Gesellschaft sein. Wir alle können einen Unterschied im Alltag machen, aber die Schule ist nicht für das Wohlergehen der Gesellschaft verantwortlich. Dazu gehört auch, dass wir uns davor hüten, die Kinder zu unserer Projektion oder zu unserem Projekt für eine bessere Welt zu machen. Für die bessere Welt sind wir Erwachsenen zuständig. Für die bessere Welt braucht es Augenhöhe und nicht Erziehung. Politik ist Auseinandersetzung und nicht Erziehung. Oder nochmals anders gesagt: Politik ist eine Angelegenheit der Auseinandersetzung zwischen Erzogenen und nicht eine Frage der Übertragung auf die Kinder.

Hannah Arendt spricht in diesem Zusammenhang von Indoktrination und sagt dazu: «Indem man sie [die Kinder] auf etwas Neues vorbereitet, schlägt man den Neuankömmlingen ihre eigene Chance des Neuen aus der Hand». Indem wir die Politik den Erzogenen überlassen und die Schule nicht als Trainingslager für die bessere Welt zu machen, grenzen wir die Schule ab. Und wir schaffen damit einen Raum, wo die Kinder nicht auf etwas Neues, sondern auf ihre eigene Chance auf etwas Neues vorbereitet werden. Wir geben ihnen einen Schlüssel zur Welt in die Hand, damit sie das Tor zur Welt selber öffnen können. Dieser Schlüssel besteht aus Fachwissen, Umsetzungswissen und Zuversicht. Oder auch Wissen, Können und Wollen.

Wissen, Können und Wollen als Schlüssel zur Welt, als Schlüssel zur Erwachsenenwelt. Das ist eine Aufgabe, welche die Schule leisten muss und leisten kann. Das ist eine grosse und wunderbare Aufgabe.

Liebe Diplomandinnen und Diplomanden: ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu dieser Aufgabe. Sie sind nicht allein mit dieser Aufgabe. Das ist eine grosse und wunderbare Aufgabe für uns alle.
Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen. Let’s do it!

Herzliche Gratulation, alles Gute und viel Freude im Lehrerberuf!

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