(14.5.22, Eröffnung des 13. Forums «Gute Schulen»)

Wir wissen es: Die Schule lässt fast niemanden kalt. Fast jede und jeder hat eine Meinung zur Schule.
Ich bin mir sicher, dass sie das als Mitglied der Schulkommission ab und zu zu spüren bekommen. Das kann mühsam sein, wenn man beim Einkaufen, vor der Kirche oder im Verein auf Schulfragen angesprochen wird. Mühsam, aber das ist gut so und wichtig.

Gut so, weil es ohne öffentliches Interesse, ohne öffentliche Diskussion auch keine öffentliche Schule gibt. Dass also gefragt, diskutiert und auch einmal gestritten wird, ist darum kein schlechtes, sondern ein gutes Zeichen. Es ist ein Lebenszeichen. Und wir hier in diesem Saal, alle miteinander, sind dafür verantwortlich, dass die öffentliche Schule lebt und lebendig bleibt.

Wenn wir uns einig sind, dass die Schule ein lebendiger Gegenstand ist und bleiben soll, «eine Angelegenheit des lebendigen Daseins und Handelns», wie das Albert Einstein so treffend beschrieben hat, dann dürfen wir aus dieser Feststellung den gleichen Schluss ziehen, den auch Albert Einstein gezogen hat: Was die Schule und Bildung anbelangt, «genügt einmalige Erkenntnis der Wahrheit nicht; diese muss vielmehr unausgesetzt neu belebt und neu erkämpft werden, wenn sie nicht verloren gehen soll. Sie gleicht einem Standbild aus Marmor, das in der Wüste steht und beständig von wanderndem Sand verschüttet zu werden droht. Immer müssen dienende Hände am Werk sein, damit der Marmor dauernd sichtbar in der Sonne glänze». Und er fügt noch an: «Zu diesen dienenden Händen sollen auch die meinen, gehören.»

Ein wunderbarer und wichtiger Gedanke. Wer die Wahrheit in Sachen Schule und Bildung wirklich sucht, der muss nach Neuem Ausschau halten, aber auch beschützen und ab und zu auch mal graben – damit das Standbild aus Marmor in der Sonne glänzen kann.

Dieser Umgang mit der Schule ist immer wichtig und in Zeiten von Umbruch und Wandel ist das noch wichtiger. Damit bin ich beim Thema: Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel mit Fokus auf Schulen.

Wollen wir die alte Schule mit neuen Mitteln oder wollen wir eine neue Schule mit neuen Mitteln? Die Frage ist wenig geistreich, weil mit alt und neu bereits eine Wertung mitgeliefert wird und natürlich eine Antwort nahegelegt wird. Sie wurde mir aber tatsächlich letzthin ziemlich genau so gestellt. Wer wirklich über die Schule diskutieren will, wer die Schule wirklich mitgestalten will oder muss – und das ist die Aufgabe von uns allen in diesem Saal –, der muss eben tiefer graben. Auch im Fall von der Digitalisierung.

Die Digitalisierung verändert die Welt. Wo die Digitalisierung die bestehende Wirtschaft aushebelt oder komplett umkrempelt, redet man von einer disruptiven Entwicklung. Disruptiv im Sinne von: das Gleichgewicht zerstörend. Das kann durchaus ein kreativer, schöpferisch-zerstörerischer Prozess sein.
Denken wir an Google, Amazon, Youtube, Facebook, Netflix, Tripadvisor, Uber oder auch Airbnb. Ich weiss: die Aktien sind gesunken, aber von diesen Firmen geht nach wie vor eine disruptive Wirkung aus.
Wir stellen aber auch fest, dass nicht alles, was Digitalisierung kann oder möglich macht, auch tatsächlich sinnvoll ist. Nur weil man in Deutschland 400 km/h auf der Autobahn fahren darf, ist es trotzdem nicht sinnvoll. Ein tschechischer Milliardär hat aber genau das gemacht und auf Youtube gestellt … der Beitrag wurde übrigens schon fast 12 Millionen-mal angeklickt und 125’000-mal geliked.

Neue Möglichkeiten und Technologien entbinden uns nicht davon, uns hinzusetzen und uns zu fragen, ob es die Entwicklung ist, die wir wollen, die wir dürfen (das ist vor allem wichtig, wenn wir als Behörde handeln) und ob diese Entwicklung tatsächlich tragfähig und zukunftsfähig ist. Neue Entwicklungen müssen auch ein Moment des Innehaltens sein. Ganz besonders dort, wo die Teilnahme nicht freiwillig ist. Niemand zwingt Sie zu Facebook, Twitter oder Youtube, aber dort, wo die Teilnahme obligatorisch ist, müssen wir aufpassen. Ich rede vom staatlichen Handeln – auch die öffentliche und obligatorische Schule gehört dazu.

Bringt die Digitalisierung die neue Schule? Christoph Mylaeus hat man einmal etwas ganz ähnliches gefragt. Ich kann mich an ein Interview mit ihm erinnern. Er war massgeblich an der Entwicklung des Lehrplans 21 beteiligt. Danach gefragt, ob der Lehrplan 21 jetzt die neue Schule bringt, hat er sichtbar genervt geantwortet: «Verfechter der einen oder anderen methodischen Ansätze instrumentalisieren den Lehrplan 21 für ihre Anliegen, und hoffen, dass die methodischen Konzepte, die sie schon seit langem als die einzig richtigen betrachten, jetzt endlich mit dem Lehrplan 21 in die Schulen kommen». Ich schliesse daraus, dass wir über unsere Grundsätze und über das, was wir mit der Schule wollen, unabhängig von unseren Möglichkeiten und Instrumenten diskutieren müssen. Und erst in einem zweiten Schritt ist die Frage zu beantworten, wie wir die neuen Möglichkeiten, sei es jetzt ein neuer Lehrplan oder eben die Digitalisierung und digitale Instrumente, für unsere Schule einsetzen wollen. Das ist die richtige Reihenfolge.

Wir stehen im Kanton Zug an einem sehr spannenden Punkt. Einerseits mit dem Blick auf den Stand der digitalen Entwicklung. Vieles ist schon möglich und noch mehr wird in Zukunft möglich sein. Andererseits aber auch mit Blick auf unsere technische Ausstattung. Die Ausstattung ist da und läuft zuverlässig, die Technologie wird in der Anwendung und Pflege auch immer einfacher – und jetzt stellt sich die Frage, was wir damit machen.

Und dann wird manchmal eben auch die Frage gestellt, die ich auch schon gehört habe: Machen wir alte Schule mit neuen Mitteln oder machen wir neue Schule mit neuen Mitteln? Und schon ist man auf dem Holzweg. In solchen Zeiten sind wir als Schulbehörden ganz besonders gefordert.

Welche Schulen wollen wir? Das ist die entscheidende Frage!

Nach dieser Schule müssen wir Ausschau halten. Vor diese Schule müssen wir unsere schützenden Hände halten. Und diese Schule müssen wir auch immer wieder etwas ausgraben. Gerade in Zeiten vom Wandel. Gerade heute. «Damit der Marmor dauernd sichtbar in der Sonne glänze.» Das ist unsere Aufgabe. Das ist eine wichtige und schöne Aufgabe für uns alle.

 

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